Der polnische Kommissar

Idee

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Kriminalisten beherrschten Psychologie und Soziologie schon professionell, als diese Fachbereiche als autonome akademische Disziplinen erst in den Anfängen steckten, noch lange keine allgemeine Verbreitung in der anerkannten Wissenschaft gefunden, noch lange kein Berufsbild des „Psychologen“, des „Soziologen“ geprägt hatten.

„Psychologie“ und „Soziologie“ entwickelten sich auf universitärer Ebene erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, ihre Durchbrüche und Verbreitung als eigene wissenschaftliche Disziplin erzielten sie erst während und nach dem zweiten Weltkrieg.

Naheliegend, zentrale psychologische und soziologische Themen, spielerisch, unernst und veralbernd – tatsächlich aber geht es um konkrete, in der Realität so eingetretene Geschehensabläufe, erst die veränderte Perspektive der Darstellung erzeugt die „komischen“, die scheinbar „heiteren“ Aspekte – aus der Sicht von Kriminalisten abzuhandeln.

Die einzige wirkliche Abweichung zur Realität besteht in dem Projekt „Der Polnische Kommissar“ in der Auswahl und Konfiguration der Haupt- und Nebenakteure im Polizeidienst.
Probanden mit diesen Eigenschaften, mit diesem Persönlichkeitsprofil, existieren, (existierten), und agieren, (agierten) tatsächlich. Da ist nichts ausgedacht.
Selbst „Grantel“, KHIS (Kriminalhauptinspektor) Wannschneider, in den Romanen der bayrische Ziehvater Ryblans, muß so oder ähnlich gelebt haben, wenn die Datenquellen nicht völlige Unwahrheiten behaupten.
Allerdings würden solche Persönlichkeiten, („Grantel“ war in der Realität Lehrer, Trainer, sowie, ganz früher, Kampfpilot, mit über 100 „Luftsiegen“, was er später sehr bedauert hat) – und darin besteht die realitätsfremde paralogische Einfügung – kaum bei der Kriminalpolizei im Einsatz seien. Dafür sind solche Persönlichkeiten einfach zu qualifiziert, zu individualisiert. „Zu gut“.
Weshalb sie in dem Projekt „Der Polnische Kommissar“ alle – vielleicht mit Ausnahme der jungen Frau Lanolska – das Kriminalpolizeisein mehr wie eine, allerdings schon ernste, „Nebenbeschäftigung“ betreiben. (Auch Ryblan hat sich einer akademischen Karriere verschrieben. Schreibt außerdem noch, zunehmend erfolgreich, unter Pseudonym „Kriminalromane“.)

Sonst passiert und geschieht in den „Kriminal-Romanen“ der Serie „Der Polnische Kommissar“ nichts, was nicht schon passiert ist oder jeder Zeit passieren könnte.

Daß das alles absurd, überzogen, lächerlich, grotesk, irgendwie so gar nicht wirklichkeitsecht, dafür – in Anlehnung an „Kottan ermittelt“ – komisch anmutet, liegt an den veränderten Perspektiven, den anderen konstellativen Ausgangslagen.
Bringe einen Staatsanwalt, vom Charakter her rücksichtlos, von seiner reaktionsbildenden Motivation her skrupellos-vernichtend, in die passende Situation – und er verhält sich ohne Abstriche wie ein tötender Gewaltverbrecher.

Bringe den Gewalttäter, der Menschen in Serie um ihr Leben gebracht hat, in eine Situation, in der er seine Neigung zum Mitgefühl ausleben kann, und er wird einem Kind emotional-emphatisch zugewandt sein, das Kind streicheln, behüten, ihm Geschenke machen, liebevoll Geschichten erzählen, das Kind vielleicht sogar unter Einsatz seiner Person schützen.

Nichts ist so, wie es den Anschein hat – Grundgesetze der Soziologie und Psychologie.
Menschen in ihrem Verhalten operationalisieren Resultierende aus einem komplexen Zusammenspiel prä- und interkonstellativer Verhältnisse.
Zu diesem komplexen Zusammenspiel dringt das SK 13 P II – MK I vor.
Sie decken auf, warum, vor welchem Hintergrund, Menschen so geworden sind, so erleben, so reagieren, sich so – und nicht etwa anders – verhalten, sich dabei gedacht oder gefühlt haben, als sie so gehandelt haben, wie sie gehandelt haben.
Der entscheidende Ansatz besteht auch bei dem „Polnischen Kommissar“ darin, den Leser angewandte Basis-Soziologie/Psychologie möglichst anschaulich, möglichst menschlich nachvollziehen zu lassen.
Die sich daraus ergebende Absurdität induziert Komik.

Zu Generatoren für noch viel mehr komische Szenen geraten bei diesem Ansatz darüber hinaus unvermeidbar von Menschen betriebene Institutionen.
Und dies vor allem dann, wenn diese Institutionen dazu übergegangen sind, ein fröhliches Eigenleben zu betreiben. (In diesem Roman etwa der klinikinterne „Datenschutzbeauftrage“, der Daten „schützt“, indem er Datensicherungen, ohne auch nur im Ansatz etwas davon zu bemerken, von vornherein gar nicht erst anlegt.)

Ebenso verwundert gar nicht, daß – eigentlich hochkriminelle – Jugendliche psychiatrische Alterspatienten menschlicher, zugewandter und mit viel, viel geeigneteren „Mitteln“ versorgen als die vermeintlich professionellen Akteure in so einer Psychiatrie.
Ganz schöne Tricks werden angewandt werden müssen, um diesen wunderbaren Therapiererfolg dann doch bitte irgendwie denen da in der Psychiatrie in die Schuhe zu schieben.
Absurd – und komisch – nur deshalb, weil reale Gegebenheiten, unter Ausschaltung jeder Konvention, auf das Wesentliche reduziert funktional in Zusammenhang gebracht und gewertet werden.

Ganz einfaches Beispiel: Cannabis-, Alkohol-, Amphetamin-, MDMA- konsumierende Kids verfügen über weitaus wirksamere „Antidepressiva“, erzielen ihrer pharmakologischen Kompetenz nach weitaus wirksamere Ergebnisse als „Pillenpsychiater“. Das ist bekannt, darf aber keiner so direkt sagen.

So werden die nach konventionellem Rollenverständnis „Guten“ schnell zu den Blödmännern, (was sie oft und oft auch sind), die in der Grauzone zu den Positivfiguren, weshalb sie, entgegen jeder Konvention, in „Der Polnische Kommissar“ positiv idealisiert erscheinen.
Die Verachteten wie etwa „datt Annemie“, die HallenbadProstitutierte, werden in „Der Polnische Kommissar“ zu Starken, weil sie bei genauer Betrachtung unter rein funktionalen Gesichtspunkten in höchstem Maße soziale, sogar therapeutische Beiträge leisten,
Die Reduktion auf das Wesentliche erzeugt die unvermeidbar grotesken Situationen.

Dazu der Gegensatz intensiver Menschlichkeit.
Die Kriminalisten in „Der Polnische Kommissar“ sind intensiv lebende Menschen. Sogar intensiv fürsorgende, liebende Menschen.
Sie „helfen“ sogar, wenn auch mit ihren ureigenen „bösen“ Tricks.
Die deshalb Menschen im Wirkfeld des Verbrechens viel besser, vielleicht überhaupt erst verstehen, nachfühlen können.
Und längst erkannt haben, daß es diese übergreifende irdische Gerechtigkeit nicht gibt.
Die Frauen und Männer des SK-13 erkennen, wer die wirklichen Verbrecher sind. Daß ein „Mörder“ häufig nur wie ein Henkersmann agiert, eigentlich vollzieht, was längst überfällig gewesen ist. Anderswo würde er dafür bezahlt werden.
Eine Frage des Bezugssystems. Und solche Fragen vermögen eher solche Menschen zu verstehen, die es sich nicht haben nehmen lassen, Mensch zu sein.
Auch darin besteht ein Basiselement im „Der Polnische Kommissar“.

Schlußendlich: Brisanz mögen eingeführte Fakten und Details implizieren. Denkbar, daß über das eine oder andere, das in den Episoden zum Gegenstand der Abhandlung erhoben wird (werden wird), etwa die ganz realen Verhältnisse in psychiatrischen Landeskrankenhäusern oder staatlichen Behörden, in diesen Einzelheiten noch nicht geschrieben worden ist.
Das Schlimme daran, hier kommt die Evidenz des Faktischen zum Zuge.
Schlimm werden solche Dinge dadurch, daß Minimalisierungsstrategien, „kann wohl nur ausgedacht sein“, versagen. Das war so, ist so gewesen, könnte – zumindest im wesentlichen Kern – jeder Zeit wieder passieren, auch wenn es sich erstmal unglaubhaft liest …