Der polnische Kommissar

1. Tatort Kaiserberg

„Hängt vielleicht damit zusammen – bis vor 40, 50 Jahren konnten die – wenn einer Wahnvorstellungen hatte, er wär´ Ronald Reagen, ´nen Außerirdischer oder so, und er ist das aber gar nicht – dann ist das so geblieben, mit den Wahnvorstellungen. Die sind nicht mehr weggegangen. Gab höchstens so verzweifelte Versuche, die auf so ´ne Art elektrischen Stuhl zusetzen. Die Stromstöße kriegten die Patienten aber am Kopf verpasst. Mit den Stromstößen haben die Psychiater bei denen richtige epileptische Anfälle ausgelöst. Werden Sie nicht glauben Chef, das machen die heute noch. Auch hier am Kaiserberg. Wir haben diese Folterkammer selbst zu sehen gekriegt. Und der bescheuerte Oberarzt meinte noch, wir wären jetzt tief beeindruckt. Waren wir auch. Aber nicht, wie der sich das gedacht hat.“
„So verzweifelte Versuche, Menschen, die wahnsinnig sind, unter Strom zu setzen, haben da nicht wirklich was gebracht. Die blieben wahnsinnig, wurden immer wahnsinniger oder irgendwann so abgedreht und verändert, dass sie ihr Leben lang in so ´ner Heilanstalt bleiben mussten. So hießen die noch vor 40 Jahren. Kaiserberg is´ nix anderes als so´ne Heil- und Pflegeanstalt. Nennt sich heute nur anders.“
Lydia registriert, wie Ryblan ihr genau, sehr genau zuhört.
„Oder wenn die „Stimmen gehört“ haben, Halluzinationen, so was gibt´s auch. So um 1950, 52 rum entdeckten sie ein Zeug, das hieß später „Megaphen“. Sollte eigentlich ´nen Narkosemittel werden. War dann aber´n Medikament, das so Irresein irgendwie zurückgebildet hat. Reiner Zufall, dass sie das Medikament mit dieser Wirkung entdeckt haben.
Und plötzlich konnten die in der Psychiatrie Wahnvorstellungen, Halluzinationen und so was mit ´nem Pharmakon behandeln. Oder meinten das zumindest.“
Lydia entnimmt der Mimik ihres Chefs, dass sie ihm, wider Erwarten, kein völliges Neuland verkauft hat. Der ihr aber gerne weiter zu hören will.
„Das hat dann in den 60´igern, glaub´ ich, Psychopharmaka so richtig in Mode gebracht. Neuroleptika nennen die das. Kamen stände neue raus. Geburtsstunde der chemischen Keulen, wenn Sie so wollen.“
Ryblan nickt. Stimmt alles, das die Lonalska da sagt.
„Im zweiten Staatsexamen mussten wir artig ankreuzen, dass die hochpotente und niederpotente Neuroleptika unterscheiden. Also hochpotente Neuroleptika hören alle auf so schillernde Namen wie „Haloperidol“, „Benperidol“, „Triperidol“, „Flupentixol“, „Fluphenazin“, „Fluspirine“, „Clozapin“. Hab´ sie mir nie alle merken können.“
(Aber doch eine ganze Menge davon repetiert, anerkennt ihr Chef.)
„Irgendwie, gibt da so wilde Hirn-Rezeptor-Theorien, sollen diese hochpotenten Dinger so´n Irresein wieder zurückbilden. Das sollten wir jedenfalls im zweiten Staatsexamen so ankreuzen.“
(Diese offensichtliche Skepsis der jungen Frau spricht für ihren sehr ausgeprägten Realitätssinn. Ist nicht das erste Mal, das Ryblan das eigentlich sehr beeindruckt.)
„Seit´s diese Pillen, Tropfen und Spritzen gibt, bilden die in der Psychiatrie sich ein, sie wär´n richtige Ärzte. So ungefähr muss man sich das vorstellen, Chef.“
(„Touché“ sinniert Ryblan.)