1. Tatort Kaiserberg
„Überhaupt. Wollten uns da verkaufen, dass alle schizophren sind.“
„Stimmt kein bisschen, Chef! Wir haben einer jungen Patienten geholfen, abzuhauen. Eine von uns hat ihr ihre Jacke gegeben, eine von uns ihre Tasche. War ganz einfach. Die blöde Kuh an der Tür hat nichts gemerkt. Die hat uns hinterher erzählt, was da auf dieser Frauen-Unruhe-Station wirklich los war. Nachts liegen die Frauen gefesselt im Bett. Die ganze Nacht schreien die Frauen. Die Patienten misshandeln sich untereinander. Schlagen sich, beklauen sich. Zigaretten, Kaffee, Geld. Muss schrecklich zugehen da. Uns wurde das verkauft, als würden da auf den Stationen die großen Segen für die Menschheit verbreitet. Die armen Schizophrenen. Aber es gibt ja uns, die super Ärzte, die netten Psychologen und „das tolle Pflegepersonal“. Konnte schon nicht stimmen, weil die Idioten, die uns das erzählt haben, die letzten Hänger gewesen sind.“
(Die Kriminalassistentin hat so ihre Ansichten, vertritt so ihre eigenen Sichtweisen. Nicht, dass sie damit das eine oder andere Mal nicht schon so richtig aufgefallen wäre.)
„Wir sollten glauben, dass jeder, der sich für was anderes hält oder mal Stimmen gehört hat, gleich schizophren ist. Das ist ungefähr so, als wenn jeder, der mal einen umbringt, natürlich gleich´n Mörder ist. Damit das alles schön passt, haben die sich einfach Unterformen von Schizophrenie ausgedacht.“
Interessant, die Kleine hat sich richtig in Rage geredet.
„Hebephrenie, Katatonie, und was weiß ich für´n Scheiß. Aber das sind alles nur Ideologien, Chef. Gibt verschiedene psychiatrische Schulen. Eine von denen hat sich durchgesetzt. Und das müssen jetzt alle Psychiater so behaupten. Jedenfalls in diesen komischen Landesheilanstalten. Und Kaiserberg ist eine davon.“
(Nur soll Lydia nicht glauben, auf diese Art von Erkenntnisgewinn verträte sie Anrechte auf ein Monopol.)
„Ist übrigens ein riesen Areal. Als ich hier war, waren´s wenigstens 21 verschiedene Häuser. In ´nen paar sind wir nicht ´rein gekommen. Da sollen so Hardcore-Fälle untergebracht sein, von früher. Die hocken zum Teil ihr ganzes Leben lang in der Psychiatrie. Dann gab´s wenigstens ein Haus randvoll mit hochgradig Schwachsinnigen, geistig Behinderten. Größte Hölle in jedem Fall diese Psychogeriatrie-Stationen.“
(Jetzt wird es interessant. Ryblan versucht nicht zu zeigen, wie sehr er jetzt an den Lippen der jungen Frau hängt.)
„Hab´ nicht geglaubt, sowas mal zu erleben. Wie´s da nach Scheiße stinkt, Chef. Ekelig, können Sie sich nicht vorstellen. Die Omas, die alten Frauen, wirklich in so 12-Bett-Zimmern. Sassen in so Stühlchen mit Brett davor. Festgeschnallt, Chef! Angeblich zu ihrem Schutz. Weil sie ja nicht mehr von alleine laufen konnten. Geballte Demenz. Sowas können Sie sich nicht vorstellen. Dazu verkauft uns so´n Dauergrinser, wie sie mit denen Gedächtnistraining machen. Orientierungstraining und, ja, Kompetenztraining.“
(Spricht für Lydia, dass sie das Scheiße findet.)
„Die Chefärztin von dem Ganzen, muss eigentlich diese Kraepelin gewesen sein, haben wir nicht zu sehen gekriegt. Bei uns war das so´n komischer Typ in so ´nem Frisörkittel. Das fällt da übrigens auch auf. Die haben noch nicht mal richtige Ärztekittel.“
(Nun ist es ja nicht so, dass Lydia auf Äußerlichkeiten irgendwie keinen Wert legen würde.)
„Laufen alle ´rum wie Chemielaboranten, Dekorateure und Anstreicher.“
(Nein, absolut nicht.)